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LHH-Platzpläne: Scherbengericht

Es wirkte planmäßig: Veränderte Plätze, veränderte NutzerInnen, ein neues Image für die Plätze hinterm Hauptbahnhof. Schon ab April. Laute Misstöne deuten jetzt an: Das Ordnungsdezernat der Stadt hat die ausgeschlossen, um die es geht. Und die, die sonst für sie da sind. 

Der Gegenwind kam prompt: „Die Vorstellung, dass mit mehr Kontrolldichte auf den Plätzen und ein bisschen Aufwertung am Stellwerk die Menschen künftig artig auf dem Platz zwischen Gericht und Bahngleisen bleiben, ist komplett irrig“, kritisiert Serdar Saris, Chef der niedersachsenweit größten Drogenhilfeeinrichtung STEP, die neuen Plätze-Pläne der Landeshauptstadt. Diese sehen vor, dass einige der bisherigen NutzerInnen von Raschplatz und Andreas-Hermes-Platz – Arme, Obdachlose, Arbeitsmigranten, Crack- und Alkoholkranke – verschwinden und an ihrer Stelle ab April sportliche, zahlungskräftige und feierlaunige Gäste die Plätze bevölkern sollen. Von Imagewandel hinterm Bahnhof sprechen Stadt und Medien. Doch die Stadt, allen voran der federführende Ordnungsdezernent Axel von der Ohe, hatten alle Pläne und damit auch die Rechnung ohne die anderen gemacht. Die anderen, das sind die Hilfeinstitutionen wie Stellwerk, Mecki, Szenia und Co, die hinter dem Hauptbahnhof für Menschlichkeit ohne Ansehen der Person sorgen. Und deren Urteil fällt einigermaßen vernichtend aus: Von „kalter Verdrängung“ und fehlender Dialogbereitschaft der Stadt spricht das Diakonische Werk Hannover. Von „krasser Stigmatisierung durch Drucksachen“ die Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo). „Kopfloses Hin- und Hertreiben“ sieht die Obdachlosenhilfe Hannover (OHH) und eine Planung ohne Datenlage moniert die STEP.

Unkoordinierte Pläne

Jetzt hat das Sozialdezernat die soziale Abfederung der beabsichtigen Vertreibung der Menschen von ‚ihren‘ Plätzen konkretisiert. Demnach soll die erste Anlaufstelle für Obdachlose in Hannover, der ‚Mecki‘, vom hinteren Teil des Raschplatzes umziehen: Ein ‚Mecki 2.0‘ soll 300 Meter weiter in der Augustenstraße 11 entstehen. Mit mehr Platz, mit medizinischer Versorgung und Schlafmöglichkeiten. Und – ganz neu in der Planung – mit einer Auslauffläche für Obdachlose auf dem benachbarten Parkplatz. Der Beginn der Bauarbeiten ist für den kommenden Sommer geplant, Fertigstellung wohl nicht vor Mitte 2024. Viel zu spät, um befriedend auf die ab April anstehenden Nutzungskonflikte am Raschplatz zu wirken. „Konzeptionell ist der tatsächliche Zeitplan bis hin zur Fertigstellung der Einrichtung offensichtlich nicht berücksichtigt worden“, moniert Diakonie-Chef Friedhelm Feldkamp Axel von der Ohes eilige Raschplatz-Pläne (siehe auch Asphalt 02/23).

Strikte Geheimhaltung

Gleich ums Eck, keine Gehminute entfernt, kümmert sich bereits heute das ‚Stellwerk‘ der STEP samt Druckraum und Sozialarbeit um Junkies. Auf dem Vorplatz dieses gelben Containerbaus zur Fernroder Straße hin sollen künftig, so Bruns, Überdachungen und Sitzplätze installiert werden. „Drogensüchtige Menschen können sich dort auf diese Weise länger aufhalten“, so Sozialdezernentin Sylvia Bruns. Außerdem soll im Verlauf des Jahres ein weiterer Container für die Cracksüchtigen auf den Vorplatz gestellt werden. Im Inneren könnten dann zeitgleich acht von ihnen den Kokainableger konsumieren, so der Plan. Der öffentliche Raum werde damit „entlastet“, so Bruns. Ob die Pläne aufgehen? Ist unsicher, meinen die Experten: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie die Analyse der Bedarfe der Menschen, welche ihren Lebensmittelpunkt im öffentlichen Raum haben, stattfinden konnten, ohne dass eine Kontaktaufnahme zu ebendieser Zielgruppe erfolgt ist“, kritisiert STEP-Chef Serdar Saris scharf. Keine Studie, keine Befragung, keine Rücksprache: „Die Stadt hatte sich für einen halbjährigen Planungsprozess in strikter Geheimhaltung entschieden, unter Ausschluss der Hilfeträger, das muss man akzeptieren. Gut ist das aber nicht.“ Denn auch diese Pläne passen zeitlich nicht zu den im April beginnenden Sport- und Spielplänen für den Raschplatz. „Wäre man auf uns zugegangen, dann hätten wir gemeinsam nach Übergangslösungen gucken können“, so Saris. „Aber es hat leider weder eine zeitliche noch eine zielgruppenspezifische Abstimmung gegeben.“

Differenzierung fehlt

Das kritisiert auch Jan Goering, Geschäftsführer der Sewo, die mit ‚Szenia‘ unweit vom Amtsgericht eine Anlaufstelle für obdachlose Frauen bietet. „Passgenaue Hilfen für die ganz unterschiedlichen Bedarfsgruppen fehlen völlig. In der Drucksache redet die Stadt nur noch von ‚Menschen in Wohnungslosigkeit oder mit einer Suchterkrankung‘. Es fehlt die Differenzierung. Denn wir haben es in Wirklichkeit mit Menschen in unterschiedlichsten Situationen zu tun: Frauen und Männern in Einsamkeit und am Rande der Gesellschaft, die am Bahnhof zumindest noch das Gefühl von Teilhabe bekommen. Mit Menschen ohne Obdach, mit unterschiedlichen Süchten, mit unterschiedlichen Formen von Prostitution, mit Arbeitsmigranten, mit Menschen in psychischen Krisen usw., und all diese Menschen brauchen unterschiedliche Unterstützung.“

Volle Konzentration

Beinahe kafkaeske Züge attestiert Goering der Stadt bei der Wortwahl: „Auch wenn die Stadt immer von Dezentralisierung redet, die Wahrheit ist: Die Hilfen hinterm Bahnhof werden noch mehr verdichtet, und zwar rund um das Gerichtsviertel.“ In der Tat werden mit dem neuen Crackraum, dem Stellwerk, mit Mecki 2.0, dem Tagestreff DÜK und dem Frauen-Tagesaufenthalt Szenia künftig 6 Angebote in einem Umkreis von nur 300 Metern rund ums Amtsgericht platziert. „Von Dezentralisierung zu reden ist da doch ein Witz“, so Goering. „Das ist Verdrängung an den Bahnhofsrand.“ Mit befürchteten Ausstrahlungen auf Königstraße, Bahnhofsvorplatz und Volgersweg. Begonnen hat diese Verdrängungsstrategie bereits vor einem Jahr, als die ehrenamtlichen Hilfeorganisationen wie die OHH, das Bollerwagen-Cafe und die Armenspeisung ‚Wir tun was‘ vom Rasch- und Andreas-Hermes-Platz verdrängt wurden. Die regelmäßigen Essenausgaben waren direkte Hilfe dort, wo sich die Menschen ohnehin aufhielten. Alle Organisationen sind aktuell nicht mehr an den Plätzen zu finden. „Das Traurige ist, dass diese ganze Vertreibung ja auch nie nachhaltig wirkt“, so Mario Cordes, Chef der OHH, „die Menschen werden seit Jahren einfach nur von A nach B und dann wieder von B nach A verscheucht.“ Tatsächlich hatte erst erhöhte Kontrolldichte der Polizei dazu geführt, dass die Süchtigen vom Fernroder Vorplatz zum Raschplatz auswichen. Zwischenzeitlich dann auf den Andreas-Hermes-Platz. Nun, nach den neusten Plänen, sollen sie offenbar wieder zurück. Und sich dort, wenn es nach dem Ordnungsdezernat geht, bestenfalls ausschließlich aufhalten.

Ungünstig für Frauen der Straße

Für Frauen in der Szene undenkbar, sagen Sozialarbeiterinnen von La Strada, einer Beratung für drogenabhängige Sexarbeiterinnen, die auch regelmäßig rund um den Bahnhof aufsuchende Arbeit macht. „Für Frauen ist am Stellwerk-Vorplatz ein Gewaltschutz nicht zu gewährleisten. Das Sicherheitsbedürfnis, besonders von substanzkonsumierenden Frauen, wird im Bereich des Lidls am Raschplatz durch die gegebene soziale Kontrolle eher erfüllt“, so Cora Funk und Stina Kamper. Die Verbesserung der Aufenthaltsqualität am Stellwerk-Vorplatz sei grundsätzlich begrüßenswert. „Jedoch ist es zudem nicht für alle Menschen mit Substanzkonsum sinnvoll, sich dort aufzuhalten. Direkt vor dem Drogenkonsumraum sind Menschen, die versuchen ihren Konsum zu beenden, einer erhöhten Rückfallgefahr ausgesetzt. Ein Ausweichen in umliegende Stadtteile ist zu befürchten.“

Diskreditierende Wortwahl

Unisono empört reagieren alle Hilfeeinrichtungen auf eine jüngste Formulierung der Stadt, mit der sie vier neue Sozialarbeiterstellen in den eigenen Reihen begründet, während sie noch kurz zuvor von ebene jenen beantragte Sozialarbeitsstellen abgelehnt hatte. „Die Träger der Suchthilfe und der Medizin haben eigene wirtschaftliche Interessen. Deshalb ergibt es Sinn, wenn die (Straßen-)Sozialarbeit und die Koordination in städtischer Hand liegt, um Interessenskollisionen zu vermeiden“, so die Stadt in der offiziellen Drucksache. „Das ist eine unzulässige Diskreditierung, die ich zurückweise“, so Saris. „Als wenn wir als gemeinnützige Träger Gewinne erzielen wollten“, ergänzt Goering. „Freie Träger verfügen über die nötige Kompetenz, Ressourcen und Expertise in diesem Bereich und direkt vor Ort tätig zu werden. Das Subsidiaritätsprinzip scheint an dieser Stelle zumindest in Frage gestellt“, sagt Feldkamp.

Im März soll am Raschplatz aufgebaut und ab April sollen unter 24/7-Bewachung dann Sport und Spiele veranstaltet werden. Einsamkeit, Armut, Betteln, Prostitution und Suchtmittelkonsum dann gleich nebenan. Davor und dahinter. Weil es am Bahnhof ist, dem Zentrum im Zentrum für Menschen ohne Zuhause, Familie und Wärme.

Volker Macke

Ab April ist Spiel und Sport am Raschplatz geplant. Obdachlose und Trinker sollen dann weichen. Ohne fertige Alternativangebote. Foto: V. Macke

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